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19.10.2003

2003 Hachioji

(von Daisy Nestler)

19.10.-27.10.2003

Monatelang bereiteten wir diese Reise vor. Wir erinnerten uns an die japanischen Wörter und Gepflogenheiten. Inzwischen wussten wir ja, dass wir viele Visitenkarten mitnehmen müssen und kleine Geschenke besorgen sollten. Die Gastgeschenke seitens des Orchesters verteilte ich auf die Mitreisenden, damit mein Gepäck nicht zu schwer wird. Jeder wurde in die Organisation der Reise irgendwie eingebunden.

Schließlich fuhren wir am 19.10.2003 bei -2 Grad Celsius gen Berlin - in Hainichen und Dresden sind unsere üblichen Zwischenstopps, um die restlichen Mitreisenden mit ihren Instrumenten mitzunehmen. Der Check-in in Berlin-Tegel gelang zum Glück problemlos. Unter den Gastgeschenken befanden sich 200 kleine Mundharmonikas – das gab den Kontrolleuren Rätsel auf. Auch waren diesmal die Kontrollen sehr intensiv - kleine Messer oder wie bei unseren Oben die kleinen Schraubenzieher, wurden als potenzielle Waffen identifiziert und beschlagnahmt. Endlichging es nach London Heathrow. Schon dies war für viele ein anstrengendes Erlebnis: Menschenmassen bewegen sich durch Labyrinthe  - ein endloses Gewimmel. Auch hier erwarteten uns strenge Kontrollen, auch wenn wir nur Durchreisende waren. Im Flugzeug verfolgten wir die lange Route gen Osten. Bereits hier konnten wir nochmals üben, mit Stäbchen zu essen. British Airways brachte uns nach 13 h Flug gut nach Tokio - dort gab es wieder umfangreiche Einreiseformalitäten zu erledigen, aber endlich hatten wir unser Gepäck und die überaus freundlichen Japaner begrüßten uns mit einer Rose. 

Es war inzwischen der 20.10.2003. Im Universitätsgelände warteten bereits die gut eingerichteten Zimmer auf uns. Wir hatten nicht viel Zeit, 17:30 Uhr ging es mit dem Taxi zur Firma unseres Sponsors, Herrn Murauchi, zu einer Empfangsparty. Nach den protokollarischen Begrüßungsreden von Herrn Murauchi und Frau Taschikawa war auch ich an der Reihe. Eine kurze Begrüßung auf Japanisch half dabei, die Atmosphäre zu lockern. Wir überreichten schon kleine Geschenke - Sebastian Berndt hatte ein Gemälde einer erzgebirgischen Landschaft dabei, geschaffen von einem ehemaligen Orchestermitglied. Wir waren bestens vorbereitet. Unser Brass-Collegium spielte ein Dankeschön-Ständchen für die Einladung und die Organisation der Reise. Freundlich wurden wir aufgefordert, uns am typisch japanischen Büfett zu bedienen. Die landesübliche Küche war uns bereits seit der letzten Reise vertraut – für die neuen Mitreisenden eine neue Erfahrung. Zur Erklärung der Speisen halfen uns die Gastgeber und erste herzliche Kontakte wurden erneuert oder hergestellt.

Am nächsten Tag, dem 21. 10.2003, erwartete uns ein Stadtbummel durch Asakusa mit dem gewaltigen Tempel. Einen Überblick über Tokio in alle Himmelsrichtungen erlangten wir vom Tokio Tower aus – Höhenangst darf man dabei aber nicht haben. Die Fotokameras klickten eifrig. 

Am Mittwoch, 22.10.2003, lud der Oberbürgermeister zum Empfang ein. Eine besondere Ehre war es, dass sich der Oberbürgermeister in unser Orchester-Gästebuch eintrug -  mit japanischen Schriftzeichen. Natürlich fanden wieder protokollarische Reden statt – ich übte mir 2 japanische Sätze ein. Aus dem Erzgebirge, unserer Heimat, hatten wir Gastgeschenke mitgebracht. Das offizielle Handschlag-Foto erschien in der  Ortszeitung „Mainichi“ mit einem umfangreichen Artikel .

Der Donnerstag (23.10.2003) war einem Besuch in Tokio Disney Sea vorbehalten. Mit Essengutscheinen und Tickets ausgestattet, durfte sich nun jeder nach Bedarf ins Getümmel stürzen oder ein Plätzchen der Ruhe suchen. Eine vergessene Filmkamera kam nicht abhanden - in Tokio geht nichts verloren, gestohlen wird schon gar nicht und so erlangte man diese wieder mit den zahlreichen, abgespeicherten Erinnerungen.

Am nächsten Tag (24.10.2003) wartete der Tempel Koonji auf uns. Wir waren beeindruckt, nicht nur von der Architektur, sondern auch vom spartanischen und gläubigen Leben der Mönche. Ausnahmsweise durften wir die 2 m hohe Tempelglocke schlagen und fühlten uns „erschlagen“. Während der Teezeremonie war neben dem „Schneidersitz“ auch das Knien zum Glück erlaubt  - Ruhe und Gelassenheit zog in die Seele ein. Die Teilnahme an einer Meditation wurde uns genehmigt – eine völlig neue Erfahrung. Der Zeremonienmeister schritt durch die Reihen und korrigierte unsere Sitzhaltung. Die sollte kniend aufrecht sein – nach ein paar Minuten der Meditation merkt man die Schmerzen offenbar nicht mehr so stark. Anschließend fuhren wir durch die typische japanische Straßenlandschaft – zum japanischen Restaurant. Es wurde landestypisch serviert – viele kleine Gänge mit recht ungewohnten Speisen; mehr und mehr war man gesättigt und wollte aber immer noch probieren – es war sehr lecker und das Bier schmeckte auch. Künstlerische Darbietungen im Anschluss wurden zum bleibenden Erlebnis: neben Akrobatik und Clownerie ist der Höhepunkt der Tanz von drei Geishas. Sogar ein Foto mit ihnen darf sein. Man mag nicht wissen, was unser Sponsor Herr Murauchi dafür bezahlt hat. Mit dem Mercedes fuhren die drei Damen davon – wahrscheinlich zum nächsten Auftritt.

Am Samstag (25.10.2003) unternahmen wir den Ausflug zu den Kaisergräbern in Hachioji. 1989 wurde hier der letzte Kaiser bestattet. Der Park ist wunderschön und mit zahlreichen landesüblich großen Bäumen ausgestattet – wir werden in der Dendrologia kundig. Was fehlt aber in diesem Bericht? Na klar – eigentlich waren wir ja auch wegen des gemeinsamen Konzertes hergekommen und das Üben war natürlich in den freien Zeiten des Tages angesagt. Nun aber sollte es Ernst werden und die große Probe in der Stadthalle von Hachioji stand an. Jetzt wurde es tatsächlich musikalisch anstrengend. Das Orchester wurde kurzzeitig zum Chor umfunktioniert. Nicht nur, dass wir am Anfang des Konzertes singen sollten, sondern wir durften auch den Solopart der deutschen und japanischen (!) Volkslieder übernehmen. Über den Noten standen anstatt der japanischen Wörter deutsche Singsilben. Die Theorie der interkulturellen Kommunikation ließ es nicht zu, zu rebellieren und so haben wir uns unsere Anerkennung schwer verdient. Die anschließende Orchesterprobe war nicht weniger anstrengend. „Die Planeten“ von Gustaf Holst standen auf dem Programm. Mit ca. 100 Musikern musste der gemeinsame Klang gelingen – nicht einfach, aber der Ehrgeiz macht vieles machbar.

Am Sonntag, 26.10.2003, bereiteten wir uns nun auf den Konzerttag vor – Aufregung pur in einem aufgeputschten „Hühnerhaufen“ – könnte man meinen. Die Generalprobe versprach uns viel Gutes – wir hatten inzwischen gelernt die Paganini-artigen Fingersätze durch geschicktes Weglassen und rechtzeitiges Widereinsetzen zu meistern. Der Chor war inzwischen tatsächlich stimmgewaltig und nahezu perfekt geworden - ein bezaubernder Klang für unser Publikum. Ungewöhnlich für uns, aber 13 Uhr begann das Konzert in der ausverkauften Stadthalle mit der Rede von Herrn Murauchi. Frenetischer Beifall in den Sätzen ließ uns diesmal ungestört – die Atmosphäre war einfach berauschend. Nach diesem mehrstündigen Ereignis viel die Anspannung – es gab herzliche Gespräche, gegenseitige Gratulationen und Glücksbekundungen sowie große Dankbarkeit, dies alles erleben zu dürfen. Die Abschiedsparty bei Herrn Murauchi wartete noch auf uns. Bevor wir das riesige Bankett mit auserwählten Speisen „erobern“ durften, gab es natürlich den offiziellen Teil mit Ansprachen von beiden Seiten. Inzwischen konnte ich die 2 Sätze japanisch schon fast perfekt – jedenfalls sagten mir die japanischen Freunde, dass sie mich verstanden hätten – aber vielleicht war es nur die japanische Höflichkeit, die mir in Deutschland wieder fehlen wird. Natürlich war allen klar, dass wir uns 2005 wieder treffen werden – wieso sollen uns schon 9000 km und finanzielle Hürden davon abhalten. Es wurde nicht nur gegessen und getrunken – einzelne Gruppen hatten für diesen Abend zur Freude der Anwesenden Programme einstudiert. Zudem gab es auch noch eine Tanzvorstellung der japanischen Landesmeister- auch Japaner können Walzer tanzen. Ist nun die Frage, wer mehr fotografiert hat – die japanischen Freunde oder wir. Auf dem Höhepinkt der Stimmung mussten wir uns leider verabschieden – mitten in der Nacht sollte der Abflug stattfinden. Wir hatten das Gefühl, alte Bekannte verlassen zu müssen. So ging es zurück zum Seminarhaus. Koffer und Taschen wurden gepackt, Instrumente gesichert. „Der harte Kern“ feierte die Nacht hindurch – der lange Flug reicht aus, um zu schlafen.

Am 27.10.03 hieß es nun „Sayonara Japan“ – allen fiel es schwer – es wurde ein tränenreicher Abschied, da half auch ein ständiges Drücken und Händeschütteln nicht. In Heathrow hatten wir uns wieder auf europäische Gepflogenheiten einzustellen – keine leichte Angelegenheit, ein weinig Freundlichkeit könnte man sich da schon abschauen und einprägen lassen. Gegen Mitternacht ging des dann von Berlin-Tegel nach Chemnitz, was wir 3.30 Uhr bei empfindlicher Kälte erreichten. Erschöpft, aber sehr glücklich darüber, diese Tage erlebt zu haben, half jetzt nur noch ein langer Schlaf, um wieder ins alltägliche Leben eintauchen zu können.